Resterampe

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Arbeitgeber aufgepasst! Kennen Sie schon die Probebeschäftigung für Behinderte Menschen? Bei Neueinstellung können Sie einen 100%igen Lohnkostenzuschuss erhalten (...)

Wer will noch mal, wer hat noch nicht? Greifen Sie zu! Es kostet nichts und es gibt auch kein Risiko! 

Ich finde es ja gut, dass die Agentur für Arbeit und das Jobcenter endlich kapiert haben, dass man bei den Arbeitgebern ansetzen muss, wenn man Menschen mit Behinderung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse auf dem ersten Arbeitsmarkt bringen will. Aber doch bitte nicht so! Das ist keine Inklusion! Hier werden Arbeitnehmer mit Behinderung oder ihnen Gleichgestellte wie Sauerbier angepriesen. Dabei kann man der Statistik der Agentur für Arbeit entnehmen: „Schwerbehinderte Arbeitslose sind im Durchschnitt zwar älter, aber im Mittel auch etwas höher qualifiziert als nicht-schwerbehinderte Arbeitslose. Dabei war 2016 der Anteil der arbeitslosen schwerbehinderten Frauen ohne Berufsabschluss etwas höher als bei den arbeitslosen schwerbehinderten Männern – aber immer noch geringer als bei den nicht-schwerbehinderten arbeitslosen Frauen.“  (Quelle: Arbeitsmarkt kompakt 2017 Situation schwerbehinderter Menschen).

Detailierteren Statistiken kann man sogar entnehmen, das der überwiegende Teil der der Arbeitnehmer mit Behinderung (und der Gleichgestellten) über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt oder sogar einen akademischen Abschluss hat.

Arbeitgeber sind verpflichtet, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen! Es wird ihnen aber immer noch viel zu leicht gemacht, sich dieser Verpflichtung zu entziehen. Kleine Betriebe sind sowieso außen vor. Erst ab zwanzig Mitarbeitern greift die Quote von 5 % Mitarbeitern mit Behinderung. Größere Betriebe kaufen sich über eine lächerlich niedrige Ausgleichsabgabe von ihrer Pflicht zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderung frei. Eine andere Möglichkeit ist, einfache Tätigkeiten an eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung abzugeben. Dabei schlägt man dann gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: man hat die Menschen mit Behinderung nicht im eigenen Betrieb, man muss keine Ausgleichsabgabe zahlen, man bekommt hervorragende Arbeit für ganz kleines Geld (die Menschen in den Werkstätten haben ein Einkommen auf Sozialhilfeniveau und bekommen nicht einmal Mindestlohn!), und man kann sich ganz sozial geben, weil man ja was für die Behinderten tut…

Arbeitgeber, die aber doch selber Mitarbeiter mit Behinderung einstellen, können davon profitieren: da ist zunächst einmal der Lohnkostenzuschuss, eigentlich gedacht als Minderleistungsausgleich. Minderleistung? Die meisten Arbeitnehmer mit Behinderung, die wirklich arbeiten wollen, leisten eher mehr als 100 %, aus Angst, ihren Job wieder zu verlieren. Das heißt, dass der Arbeitgeber einen qualifizierten,  überdurchschnittlich engagierten Mitarbeiter bekommt, für den er oft nur die Hälfte oder weniger des regulären Gehaltes zahlen muss. Dazu werden oft auch Kosten für die behinderungsbedingte Anpassung oder Ausstattung des Arbeitsplatzes bezahlt.

Ich finde es sehr schade, dass man versucht Arbeitgeber in marktschreierischer Weise zu ködern mit einem Angebot, dass schnell zur Enttäuschung werden kann. Gerade viele Menschen, die einen GdB unter 50 haben, haben meistens keine Einschränkungen, die so stark sind, dass sie einen (hohen) Lohnkostenzuschuss rechtfertigen würden. Gewöhnlich wird der Zuschuss auch nur zeitlich begrenzt gewährt (blöd für den Arbeitnehmer, wenn dass mit dem Ende des befristeten Arbeitsvertrages zusammenfällt…)

Es wäre sinnvoller Arbeitgeber an ihre Verpflichtung zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderung zu erinnern. Das könnte man ihnen schmackhaft machen, indem man ihnen klar macht, dass sie andernfalls auf gut qualifizierte Mitarbeiter verzichten, die zudem gewöhnlich hoch motiviert sind. Dann sollte man die Ausgleichsabgabe mindestens verdreifachen und die jährlichen Meldungen über die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung auch überprüfen. Das Freikaufen über die Vergabe von Aufträgen an WfbM sollte gar nicht mehr möglich sein.

 

2 Kommentare zu “Resterampe

  1. Die Art der Werbung mag unpassend sein – dennoch sind Förderprogramme für Menschen mit Behinderung sinnvoll.

    Es gibt diverse Förderprogramme für Menschen die Unterstützung bei der beruflichen Teilhabe brauchen: behindert, nicht behindert, erkrankt, gesund, jugendlich, jung und erwachsen, über 50, langzeitarbeitslos oder gering qualifiziert oder oder oder …

    Mit Resterampe hat das nichts zu tun. Wie kann ein Mensch ein Rest sein? Wer dieses Vokabular einbringt ist derjenige der Menschen die Unterstützung bekommen entwürdigt.

    Die Probebeschäftigung wird für alle Langzeitarbeitslosen angeboten, denn das ist die Voraussetzung um vom Jobcenter gefördert zu werden, das Projekt gibt es nicht nur für Menschen mit Behinderung.

    Für Menschen mit Behinderung gibt es noch eine Vielzahl an Fördermitteln zur Unterstützung der beruflichen Teilhabe.

    Das ist gut. Arbeitgeber brauchen zuweilen extrinsische Motivation um Fachkräfte mit Behinderung einzustellen. Sie haben Vorurteile und Berührungsängste.

    Dass behinderte Menschen in der Beschäftigungsststistik besser stehen könnte mit den umfangreichen Fördermitteln zusammenhängen, denekn sie nicht?

  2. Meiner Erfahrung nach ist es auch bei manchen Betrieben Gang und Gebe die behinderten Arbeitskräfte wieder aus dem Betrieb loszuwerden, indem ihre Verträge nicht weiter verlängert werden, sobald die Zuschusszeit vom Jobcenter aufgebraucht ist. Tja manch einer ist genötigt seine Krankheit am besten gar nicht anzugeben, denn auf dem Arbeitsmarkt zählt nur noch Leistung. Das wir alle Menschen mit Anfälligkeiten zur Krankheit sind wird vergessen. Schade in einem so reichen Land.

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