Tianjin, Downtown
China – das ist irgendwie eine ganz andere Welt und dann doch wieder gar nicht so fremd.
Natürlich habe ich mich vor meiner Reise hier her ein bisschen informiert, was mich hier erwarten und was ich hier vorfinden könnte. Aber grau ist alle Theorie….. Hinzu kommt, dass ich natürlich trotz aller Offenheit und Toleranz nicht frei bin von Vorurteilen und Klischeedenken. Ja und dann noch der Rollstuhl und die Vorurteile und Klischees in den Köpfen der anderen – vor der Abreise in Deutschland und natürlich auch hier.
Aber der Reihe nach. China hätte normalerweise nicht unbedingt ganz oben auf der Liste meiner Wunschreiseziele gestanden (ich frage mich gerade, warum eigentlich nicht). Aber es ergab sich eben so, weil mein Mann hier beruflich zu tun und zwischendurch Gelegenheit hat, Urlaub zu machen. Darum – warum eigentlich nicht China?
Die Welt ist so riesig und es gibt so viele interessante Länder. Am liebsten würde ich sie und ihre Menschen alle kennenlernen. (Meine Neugierde und Abenteuerlust kennen da keine Grenzen.) Also auf nach China, nach Tianjin. Das liegt etwa 120 Kilometer von der Hauptstadt Peking entfernt, mit Chinas wichtigstem Hafen am Gelben Meer.
Ich bin hier her geflogen mit Lufthansa und Air China. Beide gehören zur Star Alliance, darum diese Kombination. Gebucht hatte ich meinen Flug übers Internet bei Air China, ganz normal ein Linienflug Economy Class. Komfortabel und problemlos wie bei anderen Fluggesellschaften auch. Etwas schwierig fand ich dann, herauszufinden, wie ich Air China mitteile, dass ich im Rollstuhl reise. Ich fand nur den Hinweis, dass ich dies bis 48 Stunden vor Abflug bei einer Fernreise machen muss. Aber WIE? Es gab kein Formular (haben die meisten anderen Fluggesellschaften leider auch nicht) und nicht einmal eine E-Mail Adresse. Unter Kontakt finden sich nur Telefonnummern zu einer Hotline („English“ – was macht einer der kein Englisch kann?, habe ich mich gefragt). Gut, ein Versuch dort anzurufen. Leider kam immer wieder die Bandansage, dass die Telefonnummer nicht vergeben sei. Darum habe ich dann direkt am Hamburg Airport angerufen. Dort wurde mir gesagt, dass Air China hier gar nicht vertreten sei. Am besten solle ich am Frankfurter Flughafen anrufen, von dort sollte ja der Air China Flug abgehen. Das habe ich dann auch gemacht und bekam die Telefonnummer des Stadtbüros von Air China, wurde außerdem aber noch auf die Hotline hingewiesen. Dabei hatte ich dann ein kleines Aha-Erlebnis: Ich hatte schon beinahe die richtige Nummer gewählt gehabt, aber eben nur beinahe. Ganz selbstverständlich ging ich von der üblichen 0800 aus. Da lag aber der Fehler – tatsächlich war es nämlich 00800.
Ich rief also die kostenpflichtige Hotline an (neugierig, ob dort tatsächlich nur Englisch gesprochen wird). Da hatte ich ein sehr nettes Gespräch auf Deutsch. Es wurde aufgenommen, dass ich mit Rollstuhl reise und ich erhielt den Hinweis, dass ich per E-Mail noch ein Formular zugesandt bekomme, das ich ausgefüllt zurück schicken möge. Das Formular kam als E-Mail Anhang im schreibgeschützten pdf-Format. Das bedeutet zum Zurückschicken: Formular ausdrucken, ausfüllen, einscannen und als E-Mail Anhang senden. NÖ! Das mache ich nicht! Nun werde ich bockig. Ich habe das Formular ausgedruckt und ausgefüllt. Wenn die das unbedingt haben wollen, bitte schön! Aber erst kurz vor Abflug beim Check in! Im Wesentlichen geht es in dem Formular darum, dass Air China sich von der Haftung entbinden lässt, sollte ich durch den Flug im Zusammenhang mit meiner Behinderung oder Erkrankung irgendeinen Schaden erleiden. Die sichern sich da zusätzlich ab. Keine Ahnung, wie das andere Fluggesellschaften bei Langstreckenflügen handhaben. Das fände ich schon mal interessant. Falls einer meiner Leser Erfahrung hat, immer her mit den Infos!
Auf geht’s! Mit dem Auto bin ich bis zum Langenhorner Markt gefahren. Dort gibt es ein kostenloses (!) Park & Ride Parkhaus. Ein Bus fährt von da direkt bis an die Terminals des Hamburger Flughafens. Das Auto habe ich auf einem Behindertenparkplatz gleich neben den Aufzügen abgestellt. Das war kein Problem, weil ich den blauen Parkausweis hier in China doch nicht benutzen kann, folglich konnte ich ihn in meinem Auto liegen lassen. Dann habe ich mein Gepäck auf meinem Schoß verstaut: zuerst die große Reisetasche, den diagonal über die Tasche verlaufenden Schultergurt habe ich mir um den Rumpf geschlungen; obendrauf die kleinere Handgepäckreisetasche (noch mal Danke an mein Töchterlein für dieses tolle, praktische Geburtstagsgeschenk!), die habe ich wiederum mit dem Schultergurt an der großen Tasche befestigt. Quer über meinen Schoß, unter die Taschen geschoben kamen noch die Krücken (habe ich schon mal erwähnt, dass ein Rollstuhl für einen Selbstfahrer keine Armlehnen haben sollte?!). An der Rückenlehne hatte ich auch den Schiebegriff montiert (mein Mann hatte mich darum gebeten, ihn mitzunehmen), meine Handtasche hatte ich auch hinten angehängt.
Mit Überbreite, wegen der Krücken und vollbepackt habe ich mich dann auf den Weg zum Bus gemacht. Kurz hatte ich noch darüber nachgedacht, ausnahmsweise ein Taxi zu nehmen. Am Langenhorner Markt stehen meistens auch welche. Aber das wäre wesentlich umständlicher gewesen. Die Taxis stehen nämlich neben der Bushaltestelle. Die 100 Meter Weg wären also die gleichen gewesen. Beim Taxi hätte ich aber mein ganzes Gepäck wieder abladen und am Flughafen wieder aufladen müssen. In den Bus konnte ich, so wie ich war, einfach reinfahren. Lediglich die Krücken hatte ich vom Schoß genommen.
Check in und Sicherheitskontrolle waren, wie immer am Hamburger Flughafen, kein Problem. Der Rolli wird gelabelt, das heißt, man bekommt die Gepäckanhänger an den Rollstuhl gehängt. Dann fuhr ich eigenständig und unbehelligt von übereifrigen Helfern alleine durch die Sicherheitskontrolle. Ich hatte noch ein bisschen Zeit in dem großen Buch- und Presseladen zu stöbern. Bücher hatte ich mehrere im Gepäck. Aber man kann ja nie genug Lesestoff haben. Ich kaufte mir aber nur eine Zeitschrift.
Ein kurzer, ruhiger Flug, natürlich mit Fensterplatz, brachte mich nach Frankfurt. Beim Aussteigen gab es fürs Personal ein bisschen Verwirrung, weil die die Information über den Weiterflug nach Peking hatten. Es war dort noch ein anderer Fluggast mit einer Behinderung, der hatte optisch eindeutig asiatische Wurzeln. Dem wollten sie dann meinen Rollstuhl geben, weil da ja schon der Anhänger bis Peking dran war. Den Irrtum habe ich dann aufgeklärt. Ich habe mich dann noch bis zur Passkontrolle begleiten lassen und, war ab dann wieder mein eigener Herr.
Am Gate habe ich dem Air China Personal dann das Formular in die Hand gedrückt und darauf hingewiesen, dass es ungünstig ist, so etwas im pdf-Format zu schicken, wenn man möchte, dass es ausgefüllt zurück gesandt wird.
Neun Stunden Flug und eine Zeitverschiebung von sechs Stunde hatte ich nun vor mir. Ich hatte natürlich wieder einen Fensterplatz in der Boing 777. Leider waren aber zu viele Wolken da. Zudem musste man irgendwann auch die Fensterblende schließen, damit sich am (mitteleuropäischen) späten Nachmittag zumindest ein bisschen das Gefühl von Abend und Schlafenszeit einstellen sollte, wohl um den Jetlag ein bisschen abzumildern. Ein bisschen geschlafen habe ich auch.
Gelandet ist der Flieger morgens um viertel nach fünf. Der Flughafen ist riesig. Von der Landebahn bis zum Terminal hatte das Flugzeug noch etliche Kilometer zu fahren. Beim Aussteigen stand mein eigener Rolli leider nicht bereit. Volens Nolens musste ich mich darum in dem bereitgestellten ungemütlichen Rollstuhl durch den riesigen Flughafen karren lassen. Nach der Visakontrolle bekam ich nach einigem Warten an der Gepäckausgabe dann endlich meinen Rollstuhl und meine Unabhängigkeit zurück.
Auf dem Weg durch den Zoll konnte ich dann gleich feststellen, dass die sonst so höflichen Chinesen vom Schlange stehen überhaupt nichts halten, sondern im Gegenteil offenbar einen Sport daraus entwickelt haben, sich besonders geschickt vorzudrängeln. Mir war das egal, im Urlaub habe ich Zeit. Im Gegensatz zu den meisten anderen wurde ich einfach durchgewinkt. Darüber war ich auch einigermaßen froh. Sonst hätte ich mein gerade gut verstautes und verschnürtes Bickbeermus wieder abladen müssen.
Draußen wartete der Fahrer vom Hotel mit einem Schild, auf dem mein Name stand. Das wollte ich ja schon immer mal. Bisher bin ich aber noch nie so gereist, dass es möglicherweise schwierig gewesen wäre, selbständig zur Unterkunft zu kommen.
Der Fahrer wollte mir mein Gepäck abnehmen, war dann aber auch ein bisschen erleichtert, als ich ihm zeigte, dass ich alles gerade gut verstaut hatte. Einige Schwierigkeiten bereitete es ihm allerdings zu akzeptieren, dass ich nicht geschoben werden wollte.
Über großzügige Autobahnen mit vier Spuren je Richtung ging es von Peking nach Tianjin. Da der Fahrer kein Englisch und ich kein Chinesisch konnte, war eine Unterhaltung auf der Fahrt nicht möglich. Stattdessen habe ich aus dem Fenster geguckt. Als blutroter Ball stand die aufgehende Sonne noch tief am Himmel. Überwiegend ging es durch ländliche Gebiete mit großen Feldern und Wald. Häuser waren da keine zu sehen.
Die Fahrweise der Autos ist abenteuerlich, das fiel mir dort auf der Autobahn auf, und auch hier in der Stadt ist es nicht anders. Gefahren wird da, wo man am schnellsten vorankommt. Rechts zu überholen, ist völlig normal. Die Autos, die hier fahren sind eigentlich alle recht neu und modern, viele europäische und amerikanische Modelle. Die Laster hingegen, die ich auf der Autobahn gesehen habe, erinnerten mich an das, was ich vor 25 Jahren in Afrika gesehen habe. Das lag nicht nur an der abenteuerlichen Verschnürung und Befestigung von Planen und Ladung. LKW-Planen-Befestigung mit Hilfe diverser Schnüre, Seile und Sonstigem ist hier in China sicher ein umfangreicher Diplom-Studiengang… Die Laster schienen alle uralt zu sein oder waren es auch.
Über allem lag (frühmorgendlicher, wie ich zunächst dachte) diesiger Dunst. Tatsächlich waren es aber Smog und Staub. Bei Windstille hängt das den ganzen Tag wie ein Hochnebel über der Stadt.
Nach dem Verlassen der Autobahn ging es direkt ins Verkehrs-Chaos von Tianjin. Wer es nicht gesehen hat und selber Teil davon gewesen ist, kann sich das nicht vorstellen. Jeder will so schnell wie möglich vorankommen, wobei nicht gerast wird (das wäre auch gar nicht möglich bei der Verkehrsdichte). Einzig die Ampeln werden beachtet, zumindest von den Autofahrern. Rechts abbiegen darf man allerdings immer, auch bei Rot. Ansonsten scheint es keine Regeln zu geben. Es wird gedrängelt, was das Zeug hält, ähnlich wie in der Schlange an der Zollkontrolle. Wenn es keine Ampel gibt, schlängeln sich Fußgänger einfach so durch den dichten fließenden Verkehr über die Straße. Wenn man Grün hat, sollte man als Fußgänger lieber nicht damit rechnen, dass die Rechtsabbieger, die ja fahren dürfen, Rücksicht nehmen. Ergänzt wird das Chaos durch Unmengen von Elektro-Fahrrädern und Elektro-Rollern. Die Hupe scheint hier eins der wichtigsten Teile am Auto zu sein. Hupen ist typischer Bestandteil des Verkehrslärms in China.
Am Hotel angekommen, wusste ich gar nicht, wie ich mich gegen so viel Hilfsbereitschaft wehren sollte.
In den nächsten Tagen schreibe ich noch mehr. Ich bin ja nun schon ein paar Tage hier.
Ach ja, ich weiß leider nicht, ob von hier aus die Verlinkung mit Facebook und Twitter funktioniert. China hat beide geblockt. Also bitte gerne den Link über Facebook und Twitter teilen!
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